Herbstliche Gäste aus arktischer Tundra am Edersee

Limikolen (Watvögel) aus dem hohen Norden

Schlammbank zwischen der Halbinsel Scheid und Rehbach (Foto: Wolfgang Lübcke)
Schlammbank zwischen der Halbinsel Scheid und Rehbach (Foto: Wolfgang Lübcke)

Wenn Sie im Herbst jemand mit einem Spektiv in der Bringhäuser Bucht des Edersees die Schlammflächen absuchen sehen, ist das sicher ein Ornithologe, der Ausschau nach Limikolen (Watvögeln) hält. Bei diesen Zuggästen aus dem hohen Norden sind die Arten nicht leicht zu bestimmen. Da braucht man schon ein stark vergrößerndes Spektiv, ein Fernrohr das auf einem Stativ angebracht ist, damit es eine ruhige Position hat und das Bild nicht verwackelt.

Ein zu frühes Trockenfallen weiter Bereiche des Edersees ist sicher ein großes Ärgernis für alle Wassersportler, insbesondere die Segler. Auch der Bruterfolg vieler Wasservögel gerät in Gefahr, vor allem die große Kolonie der Haubentaucher bei Herzhausen, die von hessenweiter Bedeutung ist.
Aber es gibt auch eine Kehrseite der Medaille. Seltene Limikolen-Arten finden auf den nach und nach auftauchenden Schlammflächen optimale Rastbedingungen.  

Schon ab Mitte August bilden sich die ersten Schlammbänke in dem Bereich zwischen dem Restaurant Endstation und der „Liebesinsel“ mit den ihr vorgelagerten Resten der Grundmauern von Alt-Bringhausen, das in den Fluten des Edersees versunken ist. Nach und nach verlagert sich die Bildung neuer Schlammflächen in den Bereich der Halbinsel Scheid unterhalb des Parkplatzes in der Melbach-Bucht und weiter in Richtung Rehbach.

Am Edersee rastender Alpenstrandläufer (Foto: Michael Wimbauer)
Am Edersee rastender Alpenstrandläufer (Foto: Michael Wimbauer)

Das „Ederseewatt“ ist für die Limikolen gewissermaßen eine Tankstelle auf ihrem Zug zwischen Brut- und Überwinterungsgebiet.
Übersetzt bedeutet die Bezeichnung Limikolen Schlammbewohner, das sind Vögel, die ihre Nahrung im Schlamm und Flachwasser watend suchen.
Zu den Limikolen gehören Vertreter verschiedener Vogelfamilien, die alle die mehr oder weniger ausgeprägten Merkmale lange Beine und Schnäbel aufweisen. So sind diese Vögel an die Nahrungssuche im seichten Wasser und Schlamm gut angepasst.

Im Herbst 2020 war die Vielfalt der Limikolen-Arten, die in der Bringhäuser Bucht rasteten, besonders groß. Insgesamt zwölf Arten wurden festgestellt.
Alpenstrandläufer, Bekassine, Dunkler Wasserläufer, Flussregenpfeifer, Flussuferläufer, Grünschenkel, Kampfläufer, Rotschenkel, Sandregenpfeifer, Sichelstrandläufer, Temminckstrandläufer, Waldwasserläufer.


Am häufigsten zu beobachten war der Flussuferläufer, der früher auch im Edertal gebrütet hat. Seine maximale Truppstärke betrug 12 Exemplare, gefolgt von Alpenstrandläufer und Grünschenkel mit jeweils fünf Tieren.

Unter falschem Namen

Der Name Alpenstrandläufer ist irreführend, denn mit dem Gebirge Alpen hat der Vogel nichts zu tun. Es handelt sich um einen Brutvogel der arktischen Tundren. Mit 1,3 Mio Tieren ist er häufigster Zugvogel im Wattenmeer, wo er riesige Schwärme bilden kann. Das Überwinterungsgebiet sind die Küsten von Irland über Frankreich bis Westafrika.

Alpenstrandläufer sind etwa starengroß und im Brutkleid aufgrund ihres schwarzen Bachflecks, nicht zu verwechseln.
Sie gehören zu den Arten, für die ein starker Verlust ihres Verbreitungsgebiets durch die Klimaerwärmung prognostiziert wird.

Im Binnenland sind Alpenstrandläufer vergleichsweise selten zu beobachten. Umso überraschender war die folgende Beobachtung von Bastian Meise: Ein markierten Vogel hielt sich am 12. September 2020 am Edersee auf einer Schlammbank bei Rehbach in einem Trupp von fünf Alpenstrandläufern auf. Am rechten Bein trug er eine kleine weiße Flagge mit schwarzer Aufschrift 6C2. Das ist eine Kennzeichnung, die in Danzig/Polen verwendet wird. Zum ersten Mal ist es gelungen, eine Information darüber zu erhalten, auf welchem Weg bei uns  rastende Alpenstrandläufer zu uns gelangen.

Wolfgang Lübcke