Wollte man eine Charakter-Vogelart der Ederauen wählen, hätte die Nachtigall gute Chancen, denn die untere Eder ist ein guter Ort, wenn man ihren Gesang erleben möchte.
Schon Louis Curtze erwähnt in seiner „Geschichte und Beschreibung des Fürstentums Waldeck“ (1850), dass die Nachtigall „nur in den milden Teilen des Landes“ vorkomme und benennt ausdrücklich das
Edertal. Aber eine so häufige Art wie heute war sie damals sicher nicht, denn um 1910 bei Mehlen entstandene Fotos zeigen kaum Ufergehölze, den Lebensraum der Nachtigall.
Der vor dem Bau der Edertalsperre im Frühjahr häufige Eisgang hobelte Büsche und junge Bäume immer wieder regelrecht ab. Es wird berichtet, dass zum Beispiel in Mehlen die Eisschollen bis in die
Ortsmitte lagen. Weitere Gründe für den Mangel an älteren Weiden war deren Nutzung zum Korbflechten oder zum Heizen der Backhäuser.
Interessant ist auch der Bericht von Horst Büchsenschütz, dessen Vater in Bergheim Lehrer war: „Der 16. Mai 1943 bescherte uns einen schönen Frühlingsabend, noch ahnte niemand, dass wenige
Stunden später die Edersee-Sperrmauer bombardiert werden würde. An diesem Abend sang bei Bergheim anhaltend eine Nachtigall, was damals eine Seltenheit war.“ Nach der Katastrophe verstummte die
Nachtigall für einige Jahre im Edertal, denn die durch das Tal stürzenden Wassermassen hatten die Ufergehölze der Eder weitgehend vernichtet.
Im Jahr 1953 veröffentlichte der Bad Wildunger Gymnasiallehrer Eduard Schoof in einer ornithologischen Zeitschrift einen Aufsatz mit dem bemerkenswerten Titel „Die Vögel der Ederauen und
die Auswirkungen ökologischer Veränderungen auf die Vogelwelt“. Mit den ökologischen Veränderungen meinte er die Auswirkungen der Sperrmauer-Katastrophe auf die Natur. In diesem Aufsatz
meldet Schoof als große Besonderheit für das Jahr 1952 erstmals wieder ein Nachtigallen-Brutpaar bei Bergheim.
Seit Mitte der 1960er Jahre hat der Nachtigallen-Bestand im unteren Edertal kontinuierlich zugenommen. Zuletzt im Jahr 2015 haben Bastian Meise (Mehlen) und Michael Wimbauer entlang der Eder
zwischen Affoldern und Anraff 63 singende Männchen gezählt, eine beachtliche Siedlungsdichte! Nach und nach wurden auch abseits der Eder Nachtigallen gehört, so im Wese- und Netzetal oder im
Immengraben bei Anraff. Sicherlich ein Zeichen dafür, dass inzwischen der hohe Siedlungsdruck im Ufergehölz der Eder einige Vögel zum Ausweichen in Randbereiche zwingt.
Tipps für einen Nachtigallen-Spaziergang an der Eder:
Die beste Zeit dafür ist der Mai. Bereits Mitte April kehren die Nachtigallen aus ihrem Winterquartier im tropischen Afrika zurück. Ende Mai lässt der Gesang deutlich nach und verstummt Mitte
Juni. Eine günstige Tageszeit ist der Abend. Zwar singen Nachtigallen durchaus auch am Tage, aber am Abend, wenn der Lärm nachlässt und andere Vogelstimmen schweigen, kommt der
Nachtigallen-Gesang am besten zur Geltung. Vom Ort her sind verschiedene Ausgangspunkte zu empfehlen: Die Ederauenhalle bei Mehlen entlang des Flusses in Richtung Storchenhorst, ein Rundgang
durch das ehemalige Kiesgrubengebiet bei Anraff oder von der Anraffer Brücke aus ein Stück entlang des linken Ufers in Richtung Wellen.
Wolfgang Lübcke
Die Eder oberhalb der Mehlener Brücke - ca. 1910 - und heute (Foto: Sigrid Meier)
Ungewöhnlich früh am 07. April 2020 hat Falk Paltinat bei Anraff den ersten Nachtigallen-Gesang gehört. Im vorigen Jahr fiel der Erstgesang auf den 16. April.